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v.l.: Hans Münch-Holland, Franz Ley, Richard Moes, Wilhelm Maler (©Stadtarchiv Detmold, Stadtarchiv Bad Oeynhausen, Dr. Norbert Sahrhage)

Die Vorgeschichte

Von wem stammt die Idee, in Detmold eine Hochschule für Musik zu errichten? Hierzu kursieren verschiedene Geschichten. Womöglich kamen mehrere Personen zur gleichen Zeit auf dieselbe Idee, vielleicht lag sie auch einfach in der Luft. Die maßgeblichen Rollen im Gründungsprozess spielen vier Personen: der Bad Oeynhauser Rechtsanwalt Franz Ley, der Detmolder Bürgermeister Richard Moes, der während des Krieges aus Köln nach Hiddesen übergesiedelte Cellist Hans Münch-Holland und der Musiktheoretiker Wilhelm Maler.


Franz Ley und der Traum einer Musikhochschule

Das früheste Ereignis, das auf die Gründung vorausweist, datiert vom 26. Juni 1944. Auf Anregung von Fritz Müller, Inhaber der in Detmold ansässigen Leuchtenfabrik Temde, hat der Pianist Conrad Hansen an diesem Tag im Gesellschaftshaus "Ameide" einen Beethoven-Abend gegeben. Veranstalter des Abends ist das Lippische Landeskonservatorium für Musik. Die Verbindung zwischen Hansen und Müller dürfte Franz Ley hergestellt haben, der bereits seit den 1930er Jahren mit dem Pianisten befreundet ist. Ley, der nach NS-Terminologie als "Halbjude" gilt, hat in der Firma Temde Schutz vor der Verfolgung durch die Gestapo gefunden. Im Gespräch im Hause Müller am Vorabend oder Abend des Konzerts kommt, so die übereinstimmende Erinnerung von Ley und Hansen, erstmals die Idee auf, in Detmold eine Musikhochschule zu begründen – also eine Ausbildungsstätte für alle Sparten der Musik. 1944 ist natürlich an eine Realisierung nicht zu denken. Ein Jahr später jedoch, im Sommer 1945, tritt Franz Ley mit der Idee an den Detmolder Bürgermeister Richard Moes heran.


Das Lippische Landeskonservatorium

Das Lippische Landeskonservatorium wird 1916 von dem Musiker August Weweler und dem Hofrezitator Georg Bruns als "Fürstliches Konservatorium für Musik, Theater und Redekunst" gegründet und am 4. Januar 1917 offiziell eröffnet. Als Unterrichtsgebäude dient das "Haus Münsterberg" (heutige Adresse: Hornsche Str. 38). Die Eigentümerin, die jüdische Familie Münsterberg, flüchtet in der NS-Zeit in die USA und wird 1942 enteignet; seitdem nutzt das Rote Kreuz das Gebäude. Wo in dieser Zeit der Unterricht des Konservatoriums stattfindet, ist unklar; der Historiker Willi Schramm bemerkt in seiner Darstellung der Geschichte lediglich, dass die Kriegsauswirkungen den Betrieb "zum Erliegen" gebracht hätten.


Verbindungsmann in die Politik

Richard Moes ist von Juni 1945 bis Februar 1946 geschäftsführender Bürgermeister und anschließend bis September 1946 Stadtdirektor von Detmold. (1949–1952 amtiert er noch einmal als Bürgermeister der Stadt.) Er lebt seit 1938 in Detmold, nachdem die Nazis ihn als Bürgermeister von Bünde abgesetzt und ihm seine Tätigkeit als Journalist untersagt haben. Moes’ Amtszeit ist geprägt durch seinen besonderen Einsatz für den Wiederaufbau der lokalen Kultur in Detmold. Er ist besonders musikinteressiert, singt in verschiedenen Detmolder Chören mit und ist natürlich bestens vernetzt im Detmolder Musikleben. So liegt es nahe, dass er auch die Bekanntschaft mit dem Hiddeser Neubürger Hans Münch-Holland macht.


Hans Münch-Holland und die Idee einer Streicher-Akademie

Hans Münch-Holland war seit 1933 Professor für Violoncello an der Musikhochschule Köln. Er kannte Hitler persönlich und stand auf der sogenannten Gottbegnadetenliste, der Liste derjenigen gut 1000 Künstlerinnen und Künstler aller Sparten, die als besonders bedeutend galten und deshalb vom Kriegsdienst befreit waren. Nachdem in Köln der Lehrbetrieb eingestellt worden ist, hält er sich seit Oktober 1944 in Hiddesen auf, damals noch ein Vorort von Detmold. Seine Schwiegermutter ist Mitbesitzerin der dortigen Pension "Haus Sauerländer", in der er nach Kriegsende private Unterrichtskurse anbietet. Bürgermeister Moes macht ihm den Vorschlag, diese Kurse in das Lippische Landeskonservatorium zu integrieren, was Münch-Holland ablehnt, da die Tätigkeit an einer solchen Musikschule für ihn als Hochschulprofessor einen beruflichen Abstieg bedeutete. Nun hat Münch-Holland ohnehin schon vor längerer Zeit gemeinsam mit Hermann Zitzmann, bis Kriegsende Professor für Violine in Köln, die Idee entwickelt, dem Mangel an gutem Orchesternachwuchs in Deutschland durch den Aufbau einer Streicher-Akademie abzuhelfen. Womöglich ermutigt durch das Angebot des Detmolder Bürgermeisters, wendet er sich an seinen Kollegen Wilhelm Maler, um einen weiteren Mitstreiter für dieses Projekt zu gewinnen.


Wilhelm Maler und die Entnazifizierung

Wilhelm Maler, bis Kriegsende Kollege Münch-Hollands als Professor für Tonsatz an der Kölner Musikhochschule, war seit 1937 Mitglied der NSDAP und überdies als Komponist von Werken für die Hitler-Jugend und dem Arbeitsdienst hervorgetreten. Aufgrund ihrer Biographie scheinen Maler und Münch-Holland zunächst geringe Aussichten zu haben, auf ihre Kölner Professuren zurückzukehren; sie verbindet also das gemeinsame Interesse an einer akademischen Lehrtätigkeit außerhalb ihrer bisherigen Institutionen. Maler ist nach Kriegsende zunächst an der Schule für Musik und Theater in Hamburg tätig, die ebenfalls keinen Hochschulstatus besitzt. Im Entnazifizierungverfahren – in der für ihre Milde bekannten Britischen Zone! – erhält er keine vollständige Entlastung, sondern das Urteil: "May be retained but not promoted" (Entnazifizierungsakten Maler, 03.10.1946). So bietet die projektierte Akademie gute Aussichten für die Fortsetzung der künstlerisch-pädagogischen Laufbahn – auf Hochschulniveau, aber außerhalb einer institutionalisierten Hochschule. In der Gründungsphase achtet Maler aufs Peinlichste darauf, jeden Anschein zu vermeiden, dass er den Aufbau einer Hochschule plant – der Begriff "Hochschule" war tabu, und anders als Franz Ley dachte er zunächst an eine reine Streicherausbildung.